Süddeutsche Zeitung, Montag, 13. November 1989, S. 6

Scan Bonn: Auch künftig 100 Mark für jeden DDR-Bürger

'Es ist Geld für alle da'

Bonn (AP/dpa) - Trotz des Massenansturms von Besuchern aus der DDR hält die Bundesregierung auch künftig für jeden von ihnen einmal im Jahr ein Begrüßungsgeld von 100 DM bereit Das versicherte die stellvertretende Sprecherin des Bundesministeriums für Innerdeutsche Beziehungen, Susan Knoll, gegenüber AP. "Das Geld wird dasein für jeden, der es haben möchte und dem es zusteht, unabhängig davon, wie das haushaltstechnisch geregelt wird", sagte die Sprecherin.

Seit Öffnung der DDR-Grenze müssen DDR-Bürger der Bundesrepublik oder Westberlins nicht mehr wie früher eine gelbe Zählkarte ausfüllen, sondern lediglich den Personalausweis vorweisen, um die 100 Mark in Empfang zu nehmen. Die Auszahlung wird durch einen roten Stempel im Ausweis vermerkt Ebenfalls seit Öffnung der Grenzen zahlen auch Banken und Postämter das Begrüßungsgeld aus. Das Geld muß nach Mitteilung des innderdeutschen Ministeriums künftig nicht mehr beim ersten Besuch in der Bundesrepublik beantragt werden. Dies könne auch bei einer späteren Reise im selben Jahr geschehen.

Die ausgezahlten Gelder werden aus dem Etat des Innerdeutschen Ministeriums erstattet Bislang waren für 1989 rund 260 Millionen Mark für diesen Zweck vorgesehen. Nach der jüngsten Entwicklung steht außer Zweifel, daß die Summe beträchtlich erhöht werden muß. Gleiches gilt für die knapp 85 Millionen Mark, die das Ministerium für die 50prozentige Fahrpreisermäßigung vorgesehen hatte, die DDR- Rentnern und Reisenden in dringenden Familienangelegenheiten bei der Bundesbahn gewährt wird.

Das Begrüßungsgeld von 100 Mark wird seit 1. September 1987 gezahlt. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte die damalige Erhöhung um 70 Mark als ein Stück Übernahme von Gastgeberpflichten bezeichnet Die DDR hatte zuvor den Umtausch von Ost- in West-Mark für ihre Bürger bei Besuchen in der Bundesrepublik von 70 auf 15 Mark pro Jahr gekürzt.

Für Hunderttausende der DDR-Besucher begann am Wochenende der langersehnte Besuch im Westen mit Schlangestehen nach dem Begrüßungsgeld. Mehr als 500 Meter lang stauten sich die Reihen der DDR-Bürger vor Rathäusern, Bank- und Postfilialen. In die Freude über Reisefreiheit und bevorstehenden Einkaufsbummel mischte sich jedoch bei vielen das Gefühl von Scham und Demütigung. "Ich fühle mich wie ein Bettler, wenn ich hier aufs Rathaus gehe und mir die 100 Mark abhole", brachte ein junger Mann in Kassel den Frust über die eigenen geringen finanziellen Möglichkeiten auf den Punkt. Tausende Besucher hatten in der DDR ihre 15 Mark Westgeld nicht abgeholt, weil sie rasch aufgebrochen waren.

Viele der bundesdeutschen Grenzstädte waren dem Massenansturm der DDR-Besucher nicht gewachsen: Duderstadt ging bereits am Freitagabend das Geld aus, da seit dem Morgen rund eine halbe Million Mark Begrüßungsgeld ausgezahlt wurde. Göttingen wurde um Amtshilfe gebeten. Nicht viel besser erging es Lübeck, das Samstag mittag nicht mehr "flüssig" war. Hier halfen Banken und Kaufhäuser mit Bargeld aus. In Berlin mußten zwei Sparkassefilialen unweit des Grenzübergangs Bornholmer Straße vor dem Andrang kapitulieren und die Besucher per Bus zu anderen Zweigste1len fahren. 35 Sparkassenfilialen wurden mit 40 Millionen Mark zusätzlich ausgestattet. In Wilhelmshaven mußte der Leiter des städtischen Sozialamts erst einmal zur eigenen Scheckkarte greifen, um aus dem Automaten der Stadtsparkasse 2000 Mark zu holen. Die Direktion der Bank, die das Geld hätte herausgeben können, mußte erst aus einer Sitzung im 50 Kilometer entfernten Bad Zwischenahn geholt werden. Auch in Recklinghausen ging das Geld aus.

Wer von den Besuchern auf sein Ostgeld zurückgriff, mußte teuer bezahlen. Der offizielle Umtauschkurs für Ost- in Westmark lag bei 10;1. Auch viele Kaufhäuser im Bundesgebiet nahmen Ostmark an und wechselten an hauseigenen Kassen ebenfalls zu einem Kurs von 9 oder 10:1.

Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper (SPD) machte den Vorschlag, die Bundesrepublik solle die 100 Mark Begrüßungsgeld weiter bezahlen, aber künftig durch die Staatsbank der DDR auszahlen lassen. Die DDR-Bürger sollten künftig ihr Begrüßungsgeld selbst gegen einen "marktgerechten Kurs etwa zwischen 1:4 oder 1:5" von Ost- in Westmark eintauschen. Das würde nach den Worten Mompers "dem ganzen den demütigenden Charakter nehmen, daß Geld geschenkt wird". Die Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen, Dorothee Wilms, wies den Vorschlag zurück. Das Bergrüßungsgeld sei "ein Gastgeschenk für den Besucher und wird deshalb auch vom Gastgeber am Besuchsort überreicht".


  Frederik Ramm, 2001-05-06