Seminararbeit Slowakische Republik


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2. Die Tschechische und die Slowakische Republik: Ungleiche Brüder

2.1. Kurzer Abriß über die geschichtliche Entwicklung

Die Geschichte der Slowakei ist gezeichnet von wirtschaftlicher Fremdbestimmung und der vergeblichen Hoffnung auf staatliche Autonomie.

Sowohl das heutige Tschechien als auch die Slowakei gehörten zum Königreich Österreich- Ungarn; schon zu dieser Zeit genoß Tschechien (damals Böhmen) mit seiner Kulturmetropole Prag höheres Ansehen. Tschechien war eher städtisch-bürgerlich geprägt, während die Slowakei dem ungarischen Teil der Habsburg-Monarchie zugerechnet wurde und vor allem eine agrarische und katholisch-traditionelle Ausrichtung besaß.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde die erste gemeinsame Republik der Tschechen und Slowaken ausgerufen. Von den 256 Abgeordneten in der Nationalversammlung waren nur 40 Slowaken, die noch dazu willkürlich ernannt wurden. Sowohl Tschechisch als auch Slowakisch waren offizielle Landessprachen der Tschechoslowakei, aber keine der Sprachen wurde im jeweils anderen Landesteil gelehrt, so daß sich schon hier ein gewisses Desinteresse an einem wahrhaft gemeinsamen Staat abzeichnete.

Noch vor dem ersten Weltkrieg profitierte die Slowakei von Subventionen, Zöllen und von Aufträgen des ungarischen Teils der Habsburg-Monarchie und war so vor der Konkurrenz der fortschrittlicheren tschechischen Industrie geschützt. Nach dem Krieg brach der ungarische Markt weg, und der gemeinsame Staat bedeutete auch direkte Konkurrenz. Bis 1929 verwandte man im slowakischen Teil des Landes sogar noch das ungarische Steuersystem, das durch höhere Steuern eine zusätzliche Benachteiligung der ansässigen Unternehmer bedeutete.

Die slowakische Industrie wurde zu großen Teilen von tschechischen Kaufleuten übernommen (noch vor dem Krieg hatten hier Ungarn und Deutsche das Sagen). Die Industrialisierung in der Slowakei fand lokal begrenzt statt und brachte hauptsächlich Zulieferbetriebe für die tschechische Industrie hervor. Zwischen den Weltkriegen ging es mit der Wirtschaft eher bergab, während des zweiten Weltkrieges erlebte sie jedoch als wichtiger Waffen- und Rohstofflieferant des deutschen Staates einen Aufschwung.

Nachdem die Tschechoslowakei im Frühjahr 1945 durch sowjetische Truppen "befreit" worden war, wurde die Militärproduktion in der CSSR bis 1953 - und hieran hatte die Slowakei einen überproportionalen Anteil - unter sowjetischem Einfluß um rund 700% gesteigert. Im Rahmen der "internationalen Arbeitsteilung" für die Versorgung der Staaten des Warschauer Paktes entfielen auf das Gebiet der Slowakei vorrangig die Rüstungsproduktion und andere Schwerindustrie. Andere sozialistische Staaten hatten ein besseres Los gezogen - in der DDR wurde beispielsweise viel Elektronik entwickelt, ein Gebiet, das nach dem Ende des Kalten Krieges nicht plötzlich hinfällig wurde.

Schon vor der Revolution hatte die Regierung 1988 versucht, durch eine Dezentralisierungsreform die Wirtschaftsleistung zu verbessern; alle Anstrengungen verpufften jedoch angesichts des starren Managements der Unternehmen, das es gewohnt war, sein Unternehmen formell gemäß diversen Plansoll-Zahlen zu manipulieren, nie aber wirklich umzustrukturieren.

Nach der "samtenen Revolution" 1989 befand sich die slowakische Wirtschaft in desolatem Zustand: Die traditionellen RGW-Märkte im Osten waren in der Auflösung begriffen. Das Management der großen Schwerindustrie- und Agrarkombinate, von der Regierung zu effizienzsteigernden Maßnahmen angehalten, sah sich von der neuen Situation nicht selten völlig überfordert. Um die Liquidität zu erhalten, wurden teilweise neue Kredite aufgenommen, zum Teil wurde auch einfach auf die Begleichung von Verbindlichkeiten gegenüber anderen Unternehmen verzichtet; die Sekundärverschuldung stieg auf ein beängstigendes Maß an.

2.2. Unterschiedliche politische Strömungen und Aufteilung der CSFR

Es begannen umfangreiche Restrukturierungs- und bereits erste Privatisierungsmaßnahmen (Details im folgenden Kapitel). Schon zu diesem frühen Zeitpunkt kam es zu vermehrten Konflikten zwischen den eher radikalkapitalistisch vorgehenden Tschechen und den Slowaken, die angesichts gravierenderer sozialer Nebenwirkungen der Reformen eine langsamere Gangart forderten.

Auch an anderen Stellen zeigten sich Meinungsverschiedenheiten, so beispielsweise bei eienr erstaunlich hitzigen Debatte um den Namen der neuen Republik im Winter 1990. Während im Juli 1990 erst geringe Unterschiede bestanden, mißtrauten nach Umfragen vom September 1990 50% der Slowaken, aber nur 25% der Tschechen der Föderationsregierung in Prag. Erst 12% der Tschechen und 16% der Slowaken wünschten seinerzeit eine Trennung der beiden Staaten.

In einer Umfrage vom Juni 1991 bezeichenten 39% der Slowaken und 23% der Tschechen ihre materielle Lage als schlecht. (Die Slowakei erreichte damit das Niveau Polens, wo im Juni 1990, einige Monate nach der Balcerowicz-Reform, ebenfalls 39% mit ihrer Situation unzufrieden waren. Nach Juchler (s. Literaturverz.) wiesen die Slowaken auch in bezug auf die Reformeinstellung der Bürger und die Entwicklung der Wirtschaftslage große Parallelen zu Polen auf.) Im März 1991 spaltete, ähnlich wie das vergleichbare "Bürgerforum" in Tschechien, die Bewegung "Öffentlichkeit gegen Gewalt", bislang wichtigste politische Kraft der Slowakei. Der charismatische Vladimir Meciar (korrekte Schreibweise: ) gründete die "Bewegung für eine Demokratische Slowakei" (HZDS) und wurde deshalb aus der Regierung gedrängt. Die HZDS mit ihrem eher sozialdemokratischen Programm wurde dennoch mit Abstand die beliebteste Gruppierung.

Das Auseinanderdriften der beiden Republiken war nun kaum noch aufzuhalten. Der Populist Meciar wußte die Stimmung im Volk zu seinem Vorteil zu nutzen und gewann die Wahl ebenso wie im tschechischen Teil der Republik sein Gegenpart Vaclav Klaus, Vorsitzender der neoliberalen "demokratischen Bürgerpartei", die sich vom "Bürgerforum" abgespalten hatte. Angesichts solch unterschiedlicher Regierungskonzepte war die Trennung nun unabwendbar. Vaclav Havel, bis dato Präsident der CSFR, trat am 17. Juli von seinem Amt zurück – dem Tag, an dem die slowakische Unabhängigkeitserklärung verabschiedet wurde. Schon nach dem ersten Treffen von Meciar und Klaus war klar, daß ein wie auch immer konstruiertes gemeinsames Staatsgebilde nicht realisierbar war, und von da an wurde die Trennung mit Hochgeschwindigkeit von beiden Seiten vorangetrieben: Klaus forcierte die Trennung, um die "slowakische Hypothek" abzuschütteln und freiere Hand bei der Transformation im eigenen Land zu haben; Meciar eher aus populistischen Gründen. Paradoxerweise zeigten Umfragen, daß eine knappe Mehrheit der Tschechen und eine deutliche Mehrheit der Slowaken seinerzeit der Meinung war, die jeweils andere Republik profitiere am meisten von der Trennung. Nach langwierigen und konfliktgeladenen Verhandlungen erreichte man schließlich einen weitgehenden Konsens und beschloß eine Trennung, die zum 1.1.1993 auf geordnete und legale Weise von statten ging. Die Slowakische Republik stand nun vor der Jahrhundertaufgabe, das Staatswesen quasi "auf der grünen Wiese" neu aufzubauen. Eine Verfassung war schon im September 1992 vom slowakischen Parlament verabschiedet worden.

Das gespannte Verhältnis zur Tschechischen Republik, in deren Schatten sich die Slowakei zu oft befand und noch befindet, normalisiert sich nur langsam. Am 12.9.1995 fand zum ersten Mal seit anderthalb Jahren wieder eine offizielle Begegnung zwischen dem tschechischen und dem slowakischen Regierungschef statt. Noch immer sind einige Fragen der Verteilung von Guthaben und Verbindlichkeiten der ehemaligen Tschechoslowakei ungeklärt.


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Frederik Ramm, Januar 1996