Einkaufen in Schottland

Die Briten leiden, glaube ich, ein wenig darunter, daß sie die gleiche Sprache wie die Amerikaner benutzen. Zwangsläufig führt das dazu, daß amerikanische Produkte und der "American Way of Life" ihren Weg leichter nach Großbritannien als ins übrige Europa finden. Beim Einkaufen fällt das besonders deutlich auf.

Daß es mit dem Umweltschutz (Müllvermeidung usw.) sehr schlecht steht, habe ich schon in einem eigenen Artikel beschrieben. Natürlich gibt es beim Einkaufen die Plastiktüte(n) immer umsonst dazu, Stofftaschen gibt es nirgends. Meistens werden die gekauften Waren einem gleich eingetütet (in einem Superstore stand auch, es lebe Amerika, hinter jeder Kasse ein Tütenboy oder -girl dafür).

Superstores und Tante Emma

Die Struktur der Läden ist etwas anders als bei uns; es gibt weniger Supermärkte der mittleren Kategorie (wie HL, Pfannkuch usw.); stattdessen hat auch der kleinste Ort einen Spar- oder Coop-Laden oder zumindest einen unabhängigen "general merchant", in dem man die meisten Lebensmittel und Produkte des täglichen Lebens erwerben kann. Inbesondere in den kleineren Orten ist mindestens ein Laden bis 20:00, oft noch bis 22:00 geöffnet, Sonntag inklusive. (Die Innenstädte größerer Orte ist hingegen oft schon um 19:00 völlig ausgestorben.) Am anderen Ende der Größenskala liegen die "Superstores", riesige Einkaufshallen à la Wertkauf, auf die man allerdings erst in der Umgebung von Städten mit 20.000 und mehr Einwohnern trifft. Da gibt es dann richtig Einblick in die britische Warenwelt...

Schöne neue Warenwelt

Das Warenangebot unterscheidet sich in einigen Punkten deutlich von dem, was wir hier gewohnt sind. Nehmen wir zum Beispiel das Brot: Bei uns kauft man Brot normalerweise in der Bäckerei, und nur im Notfall weicht man auf abgepacktes Supermarktbrot aus (daher arbeiten bei uns viele Supermärkte mit Bäckereien zuzsammen, die jeden Tag frisch liefern). In Schottland gibt es kaum Bäckereien, und wenn, dann stellen die in der Hauptsache Süßigkeiten her. Knuspriges Brot gibt es nicht, das Wort "knusprig" verwenden die Briten nur für Kartoffelchips. Es gibt weiches Toastbrot, und die Brötchen sind von derselben Konsistenz, mit Gruß von McDonald's. (Nachtrag Juni 1996: In Tesco-Supermärkten immerhin auf knuspriges french-style Baguette gestoßen, großartig!)

Auch beim Tee (siehe auch meinen Tee-Artikel) ist die Auswahl bei weitem nicht so groß wie bei uns. Vor allem gibt es kaum losen Tee, fast nur Beutel, und das wichtigste Merkmal der unterschiedlichen Produkte ist nicht die Teesorte, sondern Packungsgröße und Preis ("Economy Pack") - oft steht nicht mal drauf, was für ein Tee drin ist.

Obst und Gemüse gibt es in den ganz kleinen Läden selten frisch, aber dafür muß man dann eben einen Grocer aufsuchen. Frischkäsetheken sind selten, Käsegeschäfte (wie in Frankreich) gibt es auch nicht; im wesentlichen wird abgepackter Cheddar in allen Farbtönen von weiß bis orange konsumiert, auf Wunsch auch mit Hühnergeschmack. (Siehe dazu meinen Artikel über Ernährung.)

Bei Quark und Joghurt ist die Auswahl eher etwas kleiner als bei uns (sehr beliebt die Joghurts mit Geschmackskonzentrat in einer Knick-Ecke, insgeheim schneiden sie das bestimmt ab und werfen es weg), dafür gibt es haufenweise Creme-Desserts undsoweiter.

Paradies für Markenartikler

Interessanterweise scheinen die Briten, wenn sie einmal eine Marke kennen und gut finden, eine übergroße Bereitschaft zum Kauf anderer Artikel der gleichen Marke zu haben. Daher kann man stärker als bei uns die Ausdehnung von Marken über Produktbereiche hinweg beobachten; so gibt es zum Beispiel gekühlte "Rolo"-Desserts oder Duschgel der Marke "Imperial Leather". Ach, wo ich gerade bei "Rolo" bin: Fröhliche Ostern! Es ist unglaublich, bei uns habe ich das nie gesehen: Fast jede Schokoladen-Marke, jeder Keksriegel, After Eight, Quality Street, Smarties - alles gibt es auch als Osterei. Das ist dann ein Riesenkarton (Umweltschutz läßt grüßen!) mit einem großen Schokoladenei, gefüllt mit dem jeweiligen Produkt, und oft nebendran in der Packung noch ein paar Riegel der jeweiligen Marke. Kleine Ostereier gibt es dafür kaum.

Überhaupt ist Großbritannien wohl das Land der Schokoriegel und Kekse; nirgendwo sonst gehört eine solche Menge von Süßigkeiten zur Standardausstattung eines Supermarkts. Und auch auf zwei anderen Feldern ist das Angebot umfangreich wie selten sonst: Einmal bei den Kartoffelchips (die heißen da aber "Crisps", denn "Chips" sind ja Pommes Frites) - die gibt es in allen Variationen und Geschmacksrichtungen, der Hit sind wohl die 600g-Packungen mit 12 verschiedenen Beuteln à 50g. Auch noch zu erwähnen die Cereals, also Cornflakes, Rice Crispies, Müsli undsoweiter (komisch: gesundes Essen paßt eigentlich gar nicht in meine Aufzählung). Auch hiervon gibt es in den großen Läden ganze Regale voll verschiedenster Marken und Produkte - wollte man alle mal probieren, wäre man bestimmt ein Jahr beschäftigt.

Zum Abschluß noch das schlimmste: Soft Drinks. Darunter fallen die auch bei uns bekannten Zuckersäfte Cola, Fanta und Konsorten, aber die Briten haben das Sortiment aufgestockt. In Anlehnung an "Lemonade" gibt es auch Raspberryade, Strawberryade und alle möglichen anderen Chemieprodukte, ebenfalls farbenprächtig Supermarktregale füllend, zum Teil mit Süßstoff. Claudia und ich warnten Ela noch und sagten ihr, daß wir bestimmt keinen Schluck aus der Zweiliterpulle "Cherryade" nehmen würden, aber sie kaufte sie trotzdem. Im Auto dann ein Zischen beim Öffnen, und Sekunden später riecht alles nach Kirschsirup. Ela nimmt einen Schluck und lacht danach fünf Minuten; nachdem auch wir anderen uns gebührend amüsiert hatten, haben wir das Zeug dann weggeschütttet (Vorsicht, färbt weiße Waschbecken in Nullkommanix rot).

Buy two, get third free

Aufgrund liberalerer (oder sogar fehlender) Rabattgesetze haben die Leute an der Supermarktkasse in Großbritannien einiges zu tun. Bei uns verbietet die Zugabeverordnung Dinge wie "Kaufen Sie drei Tüten Chips, und sie kriegen eine Flasche Ketchup kostenlos dazu" - in Schottland war das üblich. Die Kassierer müssen das natürlich alles auswendig wissen ("ach ja, sie zahlen das hier ja nicht, denn sie haben ja zwei Stück davon..."). Rabatte verschiedenster Art verführen den ungeübten Käufer (bzw. die Käuferin) dazu, den Wagen immer voller zu laden. Drei zum Preis von zwei, kostenlose Soße beim Kauf von Nudeln...

Das beste war eine Fernsehwerbung am Donnerstag vor Karfeitag: "Morgen den ganzen Tag bis 22:00 Uhr 10% Rabatt auf alle Produkte im Texas-Baumarkt - das richtige für Ihr Osterprojekt!". Das hat mich sehr gefreut, ist es doch Zeichen für eine liberale Gesellschaft, in der nicht 90% der Bevölkerung nicht einkaufen können, weil 10% gern Ostern feiern möchten.

Ein kleines bißchen schäme ich mich für unsere "gesetzlichen" Feiertage, die eigentlich christliche sind und mit Gesetz nichts zu tun haben sollten. (Dasselbe gilt für Sonntage.) In Zusammenhang mit dem rigiden Ladenschluß muß doch bei jedem Briten, der Deutschland besucht, der Eindruck entstehen, die ganze Nation würde Ostern, Pfingsten, Allerheiligen, Christi Himmelfahrt, am Buß- und Bettag und an Weihnachten in heiliger Kontemplation versinken und nicht gestört werden wollen. Ich wünschte, das Bild würde nicht so verzerrt.


Lesermeinungen
Eine Leserin namens Susanne attestierte mir im Juli 1999 nach dem Lesen dieser Seite: "Ich bin ein sehr groBer Schottland Fan und stelle fest, dass sie das nicht sind. Dies ist die erste Seite die ich von ihnen lese und schon stelle ich fest, dass sie Schotland nicht mogen. [...] Ich finde sie sollten zu Hause bleiben, wenn sie nur das wollen was sie kennen. [...] [12 Ausrufezeichen]" - Punkt verkannt! Ich mag es durchaus, wenn etwas anders ist, als ich es kenne, und über solche Unterschiede läßt es sich dann halt auch prima schreiben. Vielleicht schreibe ich manchmal etwas zu "tongue-in-cheek"?

Ein anderer Leser, Peter Storm (vermietet u.a. Ferienhäuser), merkte im Mai 2000 an: "Es gibt eine Vielzahl von Supermärkten und auch kleineren Geschäften, in denen man alles bekommt, was man möchte. So gibt es fast in jedem Lebensmittelladen 1. Frischgemüse, meistens lokal angebaut 2. Frisches Fleisch, teilweise auch von lokaler Herkunft, abgepakt oder frisch geschnitten von einer Fleischtheke 3. Aufschnitt in einer großen Variantenfülle 4. Frischen Fisch, teilweise mit Angabe des Anlandungshafens und des Fangdatums (auch lokal) 5. Frisches Brot: Hier wird ständig im Laden frisches Weißbrot nach franzosischem Stil gebacken. Sie fangen jetzt aber auch an, deutsches Tüten-Graubrot anzubieten. Übrigens gibt es jedes Weißbrot auch in Vollkornvarianten. 6. Die Softdrinks wie Cola sind weltweit verbreitet und kein schlechter Stil der Schotten. Wir trinkens gerne. Es gibt jede Art von Säften. 7. Es gibt fast in jedem Supermarkt eine Vielzahl von ausländischen Nahrungsmitteln, hauptsächlich indisch, indonesisch, chinesisch und englisch. [...]"


  Frederik Ramm, 2001-04-25